Erste Reaktionen auf ForuM-Studie

Am heutigen Donnerstag hat der Forschungsverbund ForuM seine bundesweit angelegte unabhängige Studie zum Thema sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche vorgestellt. Auch die Evangelische Kirche der Pfalz hat Verdachtsfälle und bestätigte Fälle an den Forschungsverbund gemeldet.

Für die ForuM-Studie wurden viele Akten aus vergangenen Jahren aufgearbeitet. Foto: Pixabay.de

Speyer (lk). Die ForuM-Studie erfasst Verdachtsfälle und bestätigte Fälle, in denen eine erwachsene, bei der evangelischen Kirche haupt- oder ehrenamtlich beschäftigte Person sexualisierte Gewalt an Minderjährigen ausgeübt hat oder der Verdacht bestand. In der Evangelischen Kirche der Pfalz sind im erfragten Zeitraum von 1945 bis 2020 insgesamt 27 solcher Fälle bekannt und wurden dem Forschungsverbund übermittelt.

Kirchenpräsidentin reagiert erschüttert

Mit Erschütterung und einem Bekenntnis zur Verantwortung der evangelischen Kirche für das Versagen beim Schutz vor sexualisierter Gewalt und zur konsequenten Aufarbeitung des verursachten Unrechts äußerte sich Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst in einer ersten Reaktion: „Trotz aller persönlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema in den vergangenen Jahren bin ich erschüttert. Die Gewalt, die Menschen in der evangelischen Kirche widerfahren ist, das Wegsehen, das immer wieder stattgefunden hat, das Versagen unserer Kirche und Diakonie in vielen Fällen macht mich fassungslos und erfüllt mich mit tiefer Scham. Wir haben viel zu oft Menschen, die Schutz gebraucht hätten, im Stich gelassen. Und wenn sie den Mut aufgebracht haben, sich zu melden, haben wir sie auch dann viel zu oft nicht angemessen behandelt.“

Wüst, die auch Sprecherin der kirchlichen Beauftragten im Beteiligungsforum der EKD ist, das die Aufarbeitung maßgeblich mitgestaltet, blickt entschlossen auf die nächsten Monate: „In der Evangelischen Kirche der Pfalz und unserer Diakonie übernehmen wir Verantwortung für die Taten, die von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden unserer Landeskirche begangen wurden. Das verpflichtet uns, unsere Schutzmaßnahmen immer wieder zu verbessern und immer wieder für angemessene Formen der Anerkennung des erlittenen Unrechts zu sorgen. Dazu ist eine Änderung unserer Haltung und Kultur notwendig – in unserer Landeskirche, in all unseren Gemeinden und all unseren Arbeitsbereichen.“

Insgesamt 22 bestätigte Verdachtsfälle seit 1947

Die Zahl der landeskirchlichen Fälle ist seit längerer Zeit bekannt. Seit einigen Jahren veröffentlicht die Evangelische Kirche der Pfalz regelmäßig im Bericht der Kirchenpräsidentin vor der Landessynode die Gesamtzahl aller bestätigten Fälle und Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt. Darunter fallen nicht allein Straftaten, sondern alle Verfehlungen in diesem Bereich, beginnend bei Grenzverletzungen über sexuelle Übergriffe bis hin zu strafrechtlich relevanten Formen.

Nach heutigem Stand haben sich die Evangelische Kirche der Pfalz und ihre Diakonie mit 49 Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt seit 1947 beschäftigt. Darin abgebildet ist die ganze Bandbreite von übergriffigem oder distanzlosem Verhalten bis zur Straftat. Von diesen 49 Verdachtsfällen haben sich 22 Fälle bestätigt. In sieben dieser Fälle waren Pfarrer die Täter, in neun Fällen Erzieher*innen bzw. pädagogisches Personal. Weitere Fälle sind in der Kirchenmusik, bei Kirchendienern und ehrenamtlichen Mitarbeitenden verortet. (Weitere Details zu diesen Fällen finden sich im FAQ der Landeskirche.)

Schutz durch Aufarbeitung, Prävention und Intervention

Für Oberkirchenrätin Bettina Wilhelm, die lange Jahre zuständige Referentin der Evangelischen Kirche der Pfalz für das Thema sexualisierte Gewalt war, müssen institutionelle Aufarbeitung, Prävention und Intervention Hand in Hand gehen, um einen möglichst weitgehenden Schutz vor sexualisierter Gewalt herzustellen: „Die Aufarbeitungsstudie wird uns wichtige Hinweise liefern, welche Umstände und Strukturen innerhalb unserer Kirche sexualisierte Gewalt begünstigen und möglich machen. Dadurch werden wir unsere Präventionsmaßnahmen, insbesondere die regelmäßigen Schulungen von Mitarbeitenden und die Schutzkonzepte in den Einrichtungen, anpassen und verbessern können, um weitere Fälle und damit Leid zu verhindern.“

Durch  das von der Landessynode beschlossene „Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt“ seien zudem alle Hauptamtlichen, Presbyterinnen und Presbyter und andere ehrenamtliche Mitarbeitende verpflichtet, regelmäßig ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen.

Wilhelm nannte die Einführung einer Ansprechstelle für Betroffene im Jahr 2010 sowie die Einrichtung einer Unabhängigen Kommission, an die Betroffene ihre Ansprüche auf Anerkennungsleistungen herantragen können, als wichtige Wegmarken zu mehr Schutz vor sexualisierter Gewalt. Die Ergebnisse aus den Teilprojekten C und D der Studie würden helfen, die Perspektiven der Betroffenen in den Verfahren stärker zu berücksichtigen. Damit sei die Hoffnung verbunden, dass mehr Betroffene sich meldeten, um über das ihnen Angetane zu sprechen und es anzuzeigen.

Hintergrund zur Studie

ForuM (Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland) ist ein unabhängiges Forschungsprojekt. Es umfasst ein Metaprojekt sowie mehrere Teilprojekte. Am Forschungsverbund beteiligte Institutionen sind die Hochschule Hannover, die Universität Münster, die Bergische Universität Wuppertal, die Freie Universität Berlin, das Institut für Praxisforschung und Projektberatung München, das Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim sowie die Universität Heidelberg.

Das Forschungsprojekt wurde von der evangelischen Kirche mit ihren 20 Landeskirchen in Auftrag gegeben. Die Kosten belaufen sich auf ca. 3,6 Millionen Euro. Alle 20 Landeskirchen beteiligen sich an der Finanzierung.

Aufgrund der zu erwartenden Komplexität der Ergebnisse wird es im Anschluss notwendig sein, sie in einem längeren Prozess auszuwerten. Dabei werden viele unterschiedliche Akteur*innen eingebunden: Eine zentrale Rolle bei der Auswertung und Rezeption der Ergebnisse spielt das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland). In ihm arbeiten Betroffenenvertreter*innen und kirchliche Beauftragte zusammen. Unabdingbar ist die Einbindung der gesamten evangelischen Kirche und ihrer Mitglieder, der Synoden aller Landeskirchen und ihrer Bildungseinrichtungen sowie anderer  Akteur*innen. Ziel ist es, auf der EKD-Synode im November 2024 erste Maßnahmen und Konsequenzen zu benennen.

Weitere Informationen, Meldestellen und unsere FAQ finden Sie unter :

Ansprechperson für Fälle sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche der Pfalz und ihrer Diakonie ist Ivonne Achtermann (Telefon: 06232/667-153, E-Mail: ivonne.achtermann@evkirchepfalz.de).

Wenn Sie nicht mit einer Mitarbeiterin der Landeskirche sprechen möchten, können Sie sich auch an die  „Unabhängige Kommission“ wenden. Sie besteht aus der Juristin Anja Schraut, der Therapeutin Ilse Seifert und dem Psychologen Karl Züfle und unterliegt keinen kirchlichen Weisungen.

Oder Sie wenden sich an die Telefonseelsorge Pfalz unter www.telefonseelsorge-pfalz.de bzw. Telefon 0800 - 111 0 111 und 0800 - 111 0 222

Weitere Informationen zur EKD-ForuM-Studie finden Sie unter:

https://www.ekd.de/forumstudie